VERNETZTE
WELTEN- DIE UNIVERSITÄT WIEN UND DER DSCHUNGEL AMAZONIENS
Univ.Ass.Dr.Hannes
Traxler-Institut für Anatomie der Universität Wien
Dr.Peter Traxler-Hanuschkrankenhaus der WGKK
Viele
Jahre hindurch haben wir es als Träumerei erachtet, eines Tages
an Bord eines Amazonasdampfers zu medizinisch unterversorgten Regionen
aufzubrechen.
Mit einer zufälligen Begegnung am Tropenmedizinischen Kongress
in Liverpool 1998 nahm das vorher unklare Ziel Strukturen an:
Während der vergangenen drei Jahre nahmen wir an drei Expeditionen
unter der charismatischen Führung von Herrn Univ.Prof.Bernardo
Cardoso, Leiter der Tropenmedizinischen Abteilung der Medizinischen
Fakultät von Belem sowie Mitarbeitern des Institutuo Chagas
teil.
Inhalt der Forschungsreisen sollte die Evaluierung der Häufigkeit
und Verteilung parasitärer, bakterieller und viraler Erkrankungen
in Regionen fernab eines funktionierenden Gesundheitssystems sein.
Zu diesem Zweck bereisten wir die Zubringerflüsse des unteren
Amazonas, nämlich den Rio Tapajòs, Rio Trombetas und
den Rio Arapuins, insgesamt etwa 1200 Seemeilen.
Ziele waren intakte Enklaven von Nachfahren ehemals in den Urwald
geflohener Sklaven portugiesischer Plantagenbesitzer- eine Reise
in die Vergangenheit.
Vor
2 Tagen sind wir aus Santarem, etwa 1500 km westlich der Amazonasmündung
gelegen, ausgelaufen.
37° Celsius seit dem frühen Morgen, eine alles verklebende
Luftfeuchtigkeit, die uns nachvollziehen läßt, weshalb
hier so wenige Menschen leben.
Die Hängematte mit ihrem verhüllenden Moskitonetz bleibt
als einziges privates Refugium während der langen, vom Dieselmotor
durchrüttelten Nächte.
Stundenlanges Stehen am Bug des Schiffes, der hinter dem abtastenden
Kegel des Scheinwerferes die Nacht zerpflügt. Ab und zu reflektieren
Augenpaare von Alligatoren und deuten die Ufer des Flusses an. Als
der Mond in einer noch nie von uns wahrgenommenen Größe
sich langsam über den Galeriewäldern erhebt, wird die
Orientierung leichter.
Er wirft bald den Schatten des Schiffes voraus- hinter jeder Kurve
die Gefahr von Treibstämmen oder Sandbänken, die dem Plankenrumpf
des Amazonasdampfers ein jähes Ende bereiten könnten.
Der Gedanke an die "ratinhos d` agua"- die plündernden
und mordenden, gut organisierten Banden in ihren Schnellbooten wird
lieber verworfen- die jüngste Erinnerung an die Ermordung eines
weltbekannten Seglers nahe Macapa hat die allgemeine Beunruhigung
nachträglich bestätigt.
Unser "Leao III" mit seiner eingespielten Mannschaft hat
Proviant für zehn Tage an Bord und wird mit jeder zurückgelegten
Flußmeile immer mehr zum Außenposten der Zivilisation.
Monoton tuckernd schiebt sich die zweistöckige Silhoutte an
den kleinen Flußsiedlungen vorbei, deren Menschen im widerspruchslosen
Einklang mit dem natürlichen Licht leben. Manchmal schimmert
es wie Schnee im Urwald: das sind wohl die schönsten Strände
dieser Welt, zwischen Mangroven und Palmspalieren leuchten sie glänzend
weiß auf, wenn der sich senkende Wasserstand der beginnenden
Trockenzeit sie zaghaft freigibt.
Irgendwann nach 1 Uhr legen wir uns zur verdienten Nachtruhe in
die Hängematte- das stete Schwingen vermittelt Geborgenheit
in dieser fremden Welt, die Temperatur ist jetzt erträglich.

Gegen
6 Uhr morgens, kurz nach dem rasanten Aufgang der Äquatorialsonne,
erreichen wir eines unserer ersten Ziele : QUILOMBOS, im Urwald
versteckte Siedlungen, Zufluchtsort für entsprungene Sklaven.
Hier waren sie vor den Kopfgeldjägern der Großgrundbesitzer
relativ sicher.
Ihre Nachfahren sind geblieben, seit mehreren hundert Jahren.
Häuser
aus Lehm und Stroh formen Dorfgemeinschaften für 10 bis 15
Familien, es ist ein Leben ohne Elektrizität und allen daraus
resultierenden Annehmlichkeiten.
Die seltene Ankunft eines Schiffes, noch dazu mit Ärzten an
Bord, hat sich längst wie ein Buschfeuer im Umkreis verbreitet,
behende schweben Einbäume durchs glatte Wasser, besetzt mit
ganzen Familien, orgelpfeifengleich gereiht.
Neugierde und Hoffen auf medizinische Betreuung paaren sich zu einer
aufgeregten Erwartung. Bald sind die entscheidungstragenden Personen
des Dorfes ausgemacht.
Die "Buschschule"wird daraufhin behelfsmäßig
zur Ambulanz umfunktioniert und wir teilen uns in ärztlich
versorgende und forschende Gruppen auf.
Der Anamnese mit besonderem Augenmerk auf die täglichen Lebensbedingungen,
Fragen nach Art der Behausung, Wassergewinnung, Ernährung,
medizinischer Betreuung, Arbeit und Familiengröße folgen
Blutabnahme, Stuhlgewinnung und bei manchen, mutigeren Frauen ein
durch unsere brasilianische Kollegin gewonnener Cervikalabstrich.
Die Analphabetenquote liegt bei etwa 70%, das Trinkwasser wird in
der Regel unbehandelt dem Fluß entnommen, Chlorabgaben der
Regierung verebben - entsprechend hoch ist die Kindersterblichkeit
auf Grund von Durchfallerkrankungen.
Eine grobe Analyse der gewonnenen Proben erfolgt vor Ort an den
beiden mitgebrachten Mikroskopen: Malaria, Amöben, Wurmeier
und Erreger verschiedener STDs sind sehr häufig. Das Blut wird
zwecks serologischer Aufarbeitung tiefgefroren und später nach
Belem, der Millionenstadt an der Amazonasmündung, zur weiteren
Analyse gebracht.(Screening auf HIV, Hepatitis A/B/C, Leishmaniose,
Morbus Chagas)
Für etwa 800 Menschen haben wir Medikamente vorrätig-
die Verteilung erfolgt nach Diagnosestellung direkt an Bord des
Schiffes. Verschämt treten manche Patienten scheinbar unbemerkt
ein zweites Mal in die Reihe: Gesundheit verheißende Pillen
sind in einer nahezu geldlosen Gesellschaft unerreichbar!
Am späteren Nachmittag ist die Ambulanzarbeit fertig, mehr
als 100 Patienten haben uns an diesem Tag aufgesucht.
In und vor der Schule erteilen wir den Frauen und Kindern des Dorfes
noch bis zum Sonnenuntergang "Hygieneunterricht", während
die Männer ihrer Leidenschaft, dem Fußballspiel, nachgehen.
Die
Orte und ihre Bewohner gleichen einander kaum.Teilweise wohnen Menschen,Hühner,
Schweine und Affen im selben Biotop. Das Fußballfeld- überall
in Brasilien zu finden- ist oft der einzige liebevoll gesäuberte
und dem Urwald dauerhaft abgerungene Platz- kein Tag ohne Ball!
Dann wieder malerische Idylle am Flußufer, Blick über
die endlose Wasserweite, Mango und Parabaum als Schattenspender
dicht nebeneinander, Familien in ihren weit ausladenden bunten Hängematten
vor ihren Hütten aus Palmgeflechten, kollektive Körperpflege
als soziale Interaktion der Generationen. Der abgehackte Krokodilsschwanz,
als Piranhaköder im Einbaum, gibt Zeugnis vom letzten Mittagstisch,
eine getrocknete Schlangenhaut und das Fell eines Jaguars dienen
als Zierde der Hütte und zeugt von der Kraft ihrer Bewohner.
Irgendwo steht unter einer Palme ein völlig durchrosteter Rollstuhl.
Wie einen Schatz halten die faltendurchfurchten Hände einer
im Alter nicht mehr einschätzbaren Frau die Rasseln einer getöteten
Klapperschlange.
Sie ist als Dorfälteste mit der traditionellen Medizin vertraut-
und genießt größtes Ansehen.
Das
wichtigste ist den Menschen "Ihr Fluß".
Er verkörpert Leben, Vergangenheit und Zukunft.
Sie sind zufrieden, obwohl sie wissen , daß sie täglich
betrogen und um ihre Rechte gebracht werden- "von den Politikern".
Vor den letzten Wahlen ist der Hubschrauber der Distriktsverwaltung
mit dem Wahlkandidaten gelandet, T-shirts und Kappen wurden verteilt,
vieles versprochen. Dann kam bald die Wahlurne, gewählt wurde
mit dem Fingerabdruck- und seit diesem Tag, vor mehr als 3 Jahren,
ist es wieder still geworden. Der so bitter benötigte Gesundheitsposten
wird auch heuer sicher wieder am Wahlprogramm stehen.
Wieder
am Schiff, fließt der Strom gemächlich vorbei, die sanfte
Abendsonne hüllt den dampfenden Horizont in die schönsten
Pastellfarben.
Bald wird die Nacht hereinbrechen und uns, Eindringlinge, aus dieser
Welt entreißen. Noch ahnen wir nicht, wie ineinandergreifend
Traum und Wirklichkeit sein können........................"Deus
é brasileiro"?-Gott ist Brasilianer?. Die Antwort muß
jeder für sich selbst finden.
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